Projektleiter

Projektleiter

Carola von Herders Arbeiten als Projektleiter reichen von großen Gruppenchoreographien mit klassischen Ballet-Ensembe (Walpurgisnacht, Oper Odessa) über integrative Schulprojekte mit 90% Migrationshintergrund (Brot),  zu  Tanztheatern,  auch mit Randgruppen, wie z. B. mit ehemals Drogensüchtigen (Joch).

Denn ich habe euer Joch zerbrochen

Tanztheaterprojekt ‚Denn ich habe euer Joch zerbrochen‘ mit ehemals drogensüchtigen Jugendlichen des Therapie Zentrums OASIS in Odessa. Ein Projekt, das sie initiierte, mit den Jugendlichen zusammen choreographierte und 4 Jahre betreute, über seine Premiere in Odessa hinaus bis zu seiner Tournee nach Deutschland mit Aufführungen und Drogen-Preventions Programmen in Schulen in München und Regensburg, der Partnerstadt Odessa’s.


Das Projekt wurde gefördert vom Goethe Institut Kiew,von Interfilm-Akademie München,
von ‘Hoffnung für Osteuropa‘,von der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit)
von der Bayerischen Staatskanzlei, dem Bayerischen Gesundheitsministerium.
Es wurde empfohlen von der deutschen Botschaft  in Kiew und dem ukrainischen 
Ministerium für Familie und Sport.
(Siehe auch www.interfilm-akademie.de unter Projekte 2005)

DER WEG IST DAS ZIEL – ABER DAS ZIEL IST AUCH DAS ZIEL

 

Hier war der Weg das Wichtigste: denn wir haben es nicht nur mit Amateuren sondern abgesehen von den Kindern mit ehemals Drogensüchtigen zu tun, also Menschen die sich in der Regel auszeichnen durch geringes Selbstvertrauen, mangelnde Bereitschaft zum Mitmachen, negatives Körpergefühl, gelähmtes Reaktionsvermögen, Isolationsempfinden, ewige Langeweile und eine passive, negative Grundhaltung zu allem. Der bewusst lange Prozess der Vorbereitung sollte konstruktive und positive Teile ihrer Persönlichkeit freilegen, er sollte vor allem Veränderungen bewirken, die über das Projekt hinaus bestehen bleiben würden. Er sollte ein Erlebnis werden, das niemand später den Teilnehmern wegnehmen konnte, das im Grenzfall, in Zeiten der Krise, wie eine Batterie weiterhin Selbstvertrauen und Kraft geben würde. Er sollte heilen und befreien. Der Weg musste so gestaltet werden, dass er spielerisch und zufällig ihren eigenen ‘Wegen’ als Gegenmodel dienen konnte: dass er Schwierigkeiten nicht auswich, sondern überwand, dass er betretene Pfaden vermied und sich dennoch nicht verlor, dass er immer wieder ins Unbekannte hinein stieß, um die Angst davor zu nehmen und damit Vertrauen in sich und den anderen zu generieren. Und das Wichtigste: er sollte ihr Werk sein und nicht das des Leiters. Denn wie würden sie sich vollkommen mit dem Endergebnis identifizieren können und von seiner Energie zehren, wenn es nicht ihr eigenes war?

AURA STATT AUTORITÄT

Ich musste also meinen Anteil so unsichtbar wie möglich gestalten, mit allen erdenklichen Mitteln das kreative Material in ihnen in Bewegung bringen. An erster Stelle daher die Bemühung, eine Atmosphäre herzustellen, die ihrem Selbstausdruck hilfreich sein könnte: es ging um Leichtigkeit, um Lebensfreude – ihre Neugierde sollte angeregt, ihre Scheu vor andren, vor Neuem vor sich selber sollte aufgelöst werden. Es ging um Lachen, um Spaß, um Geborgenheit. Es ging um Wohlbefinden gepaart mit einer Art verfeinerten Trunkenheit, die ihre inneren Wände auflöste und gleichzeitig ihre Wahrnehmung steigerte. Es ging um eine innere Lebendigkeit, eine natürliche Begeisterung, die sie mutig machte – vollkommen unchemisch hersgestellt.

KEINE HALBE SACHE

Im Idealfall war erwünschenswert, dass sie irgendwann im Verlauf des Projektes, ja so oft wie möglich, eine seelische Befriedigung finden würden, die sie in einer falschen Richtung gesucht hatten. Und sie sollten, ihnen selbst beweisbar und nachvollziehbar, aktive Mitgestalter davon gewesen sein. Aber obwohl dies eine ungewöhnliche Ausgangsposition für ein Tanztheater war und wir es mit Nicht Profis zu tun hatten – in diesem Fall vielleicht gerade deswegen – sollte das Endprodukt möglichst viele professionelle Qualitäten haben: körperliche und emotionelle Ausdruckskraft, gut ausgearbeitete Dynamik, zügige Übergänge, entwickelte logische Zusammenhänge von Inhalt und Bewegung, harmonisches Zusammenwirken aller ästhetischen Mittel, Klarheit der Choreographie. Das alles waren Ansprüche, die ich an unsere gemeinsame Arbeit stellte, denn je professioneller und überzeugender das Endergebnis war, desto mehr konnte es auf seine Urheber zurückwirken, so mehr konnte es auch vorgefasste Meinungen im Publikum verändern helfen. In diesem Sinne waren auch die Musiker, die Kostümbildnerin, der Beleuchtungsdesigner alle Profis. Es sollte in keinem Aspekt eine halbe Sache werden.

DIE ALLGEMEINDE VERTIEFTHEIT IN EIN GEMEINSAMES TUN

 

Womit wir bei dem zentralen Anliegen einer kollektiven kreativen Arbeit wären: diesem Zustand allgemeiner Offenheit wo sich jeder einzelne wahrnimmt aber nicht eingeklemmt in seinem Bewusstsein verharrt, wo eine allgemeine Spannung und Neugierde herrscht, die zum Teilnehmen animiert, wo ein psychisches sowie seelisches Wohlbefinden herrscht, die Grundvorrausetzungen spontanen Mitwirkens. Wie sie herstellen: der physische Ort sollte angenehm sein, ästethisch ansprechend. Es muss ein Ort sein an dem man verweilen möchte, von dem man nicht wegstrebt. Neben dem ästhetischen Wohlsein muss es ein menschlich positiver Ort sein, wo es einem gut geht und man sich nicht langweilt. Man kann als Gruppenleiter ganz unauffällig die Tradition des spontanen Applauses und zustimmender Reaktionen einführen, sodass Beiträge einzelner generell ganz natürlich von allen positiv aufgenommen werden und der Mut selbige zu liefern immerzu steigt. Es kommt ein Punkt wo man nicht auf die Nase fallen kann, wo das Risiko der Selbstöffnung keines mehr ist, weil sich ein Klima allgemeiner Anteilnahme etabliert hat, wo sich anfänglich kritische Ablehnung und herablassende Reaktionen – oft aus dem Gefühl eigener Unbeholfenheit geboren – in eine allgemeine Freude am Zusammensein verwandelt hat. Und je witziger man sein kann, je mehr gelacht wird desto besser. Eine gute Stimmung – mit immer welchen Mitteln erzeugt – ist das A und O für kollektive Kreativität. Dabei ist gute Stimmung nur ein Ausgangspunkt, nicht das Ziel an sich.  

VON DER LEICHTIGKEIT ZUR VERTIEFUNG

 

Es geht ja nicht um Beschäftigung per se. Was man eigentlich bezweckt ist die innere immer ungeteiltere Beteiligung. Aber die stellt sich anfänglich nicht unbedingt sofort ein. Zunächst muss man Passivität und schnell aufkommende Langeweile umgehen. Das beste Mittel gegen Langeweile im Anfangsstadium ist das Neue, die Überraschung – eine Erwartung, die zu Beginn vom Gruppenleiter befriedigt wird, indem er die Sessions vorbereitet und seinen Mörser mit Ideen für den richtigen Moment bereit hält. Sehr bald aber geht die Aufgabe der Erneuerung auf alle über. So kann es zu Beginn für den Gruppenleiter sehr ermüdend sein: seine neuen Ideen verbrauchen sich sehr schnell, da im allgemeinen Klima noch wenig Eingeninitiative zu finden sind. Schon nach ein paar Sessions verlagert sich die Balance, jeder neuer Impuls hält die Gruppe länger interessiert, sie schlucken nicht nur, sie beginnen Eigenes einzuwerfen. Bald beginnt jede Session mit einer allgemeinen Vorfreude…’mal sehen was wir heute wieder auskochen!’